Vanessa geht
zu den Walen

Uraufführung: 31.12.2022
Offenes Haus Oberwart (OHO)
Gastspiele: KUGA, Kulturzentrum Eisenstadt

Road-Opera

Von Peter Wagner (Libretto) und Ferry Janoska (Musik)

Regie: Peter Wagner / Darsteller:innen und Sänger:innen: Michaela Khom, Claudia Fellinger, Tamás Hompok, Eveline Rabold, Alexander Wukovits
Musiker: Ferry Janoska, Lev Konovalov, Thomas Maria Monetti, Nikola Zeichmann / Virtueller Chor: Jinxin Chen, Thilo Cubasch, Risa Matsushima, Ekaterina Solunya / Bühnen-Bilder: Wolfgang Horwath / Kostüm: Markus Kuscher / Bühne und Videos: Peter Wagner / Assistenz, Fotos: Michael Foster / Lichtdesign und Produktionsleitung: Alfred Masal / Ton: Tom Eitel / Bauten und Tonassistenz: Florian Decker, Roman Pongracz, Hannes Ringbauer, Jan Tomsits / Videoprogrammierung: Zoltán Galambos / Büro: Silvia Magdits / Organisation: Claudia Fellinger, Rebeka Troha / Philippinische Botschaften: Mykey (Education Officer) – Group: www.peopleandthesea.org, Søren Knudsen (Program Manager) – Group: www.marineconservationphilippines.org / Walaufnahmen: Liquid Focus – www.liquidfocus.com.au / Kurzvideos in der Influencer-Szene von Schülerinnen der Schulen: HAK Neusiedl/See, Gymnasium Wolfgarten Eisenstadt / Flugaufnahmen mit Schülerinnen des BG BRG BORG Oberpullendorf

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Vanessa umringt von Menschen mit Zündhölzern

Das Vanessa-Prinzip

Es ist alles zu viel – zu viel Müll im Wasser und an Land, zu viel digitaler Müll im Netz, zu viel Plastikmüll im Bauch des Wals, der daran zugrunde geht. Vanessa kann nur mehr daran denken und macht sich auf den Weg. Und dieser Weg macht es ihr und dem Publikum nicht gerade leicht, denn das Märchen von der Rettung der Welt ist eines der grausamen – weil bitter realen – Sorte. Konsequent irritierend sind die Ablenkungen, Versuchungen und Verwirrungen, denen Vanessa auf ihrer Reise begegnet. Weiterhelfen kann ihr niemand, im Gegenteil: Nur indem sie stur geradeaus geht, bleibt wenigstens sie am Leben. Vanessa hat schließlich eine Mission, dazu muss sie ans Meer, ins Meer hinein, immer tiefer.

Großes Bühnenkino

Peter Wagners Road-Opera hebt mit Walgesang an und endet in Stille. Dazwischen liegt eine Bilderflut, der man sich nicht einmal mit verschlossenen Augen oder Brett vor dem Kopf entziehen könnte. Und die Musik von Ferry Janoska, die in der Unmittelbarkeit, Unbarmherzigkeit des Textes ein wenig Trost spendet. Wobei das mitunter auch ein trügerischer Trost sein kann, eine entrückte Arie, ein jazziger Trick von einer Melodie, bedrohliches Dröhnen.

Musiker, Darstellerinnen und Darsteller stemmen mit Vehemenz, was Wagner und Janoska auf die Bühne wuchten; die Worte werden auf vier Leinwänden mit noch mehr Bildern mitgeliefert. In seiner Gesamtheit spricht das erfahrenes Theaterpublikum ebenso an wie junge Zuseherinnen und Zuseher. Nicht nur um die Jungen geht es aber, sondern um alle Generationen, um uns eben.

Dass ein derartiges Großprojekt überhaupt möglich ist, das liegt zum einen am Einsatz des gesamten Produktionsteams, zum anderen an der Theaterinitiative Burgenland und am Offenen Haus Oberwart, die zeitgenössische Stücke wie dieses ermöglichen, umsetzen und ins Land hineintragen.

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Vanessa mit zweiter Frau in rot eingeleuchtet

Antworten – und noch mehr Fragen

Umso dringender wird das Anliegen, wenn es sich um ein solches Stück von höchster Brisanz handelt, fest verankert im krisen- und kriegsgebeutelten, klima-verrückten Hier und Jetzt. Dabei weint der Ozean schon lange, wie wir gleich eingangs lernen: ein Meer der bunten Tränen, aus lauter buntem Zeug. Und so wie wir alle im Grunde Autoreifen fressen und den Staub der Städte schlucken, so hat der Wal – ihr Wal – sich mit Müll vollgestopft. Vanessa hat von seinem Ende am Strand auf den Philippinen gehört, 40 Kilo Plastik im Bauch. Und sie hat sich in ihn verliebt. Als Witzbold träumt sie ihn sich zurecht, einen mit Charme und in jedem Fall gesegnet mit Optimismus – denn weshalb hätte er sonst all das bunte Zeug geschluckt? Vanessa will wenigstens seine Kameraden retten.

Was sie finden soll, sind Antworten. Und dazu noch mehr der Frag en. Die Baumbewohner, angehende Selbstmörder, trachten danach, sie zu überzeugen. Vanessa wird sie los, indem sie von ihrem Rettungsplan erzählt. Was sie erntet, ist höhnisches Gelächter, die Überheblichkeit der Selbstmörder. Für Vanessa ist das Ende aber nicht die Lösung, nicht in der Form. Was dann? Der Entleerung entsagen, so wie es ihr die „Verkotungstipps“ online vorgaukeln? Wohl kaum.

Die Durchquerung der Wüste offenbart Blicke auf Feindseligkeit und Zerstörung; die Sphinx rät zur Umkehr. Vanessa geht weiter – und begegnet sich selbst (oder zumindest ihrem Spiegelbild), wird zum Produkt. Selbstoptimierung ist das Zauberwort.

Der Attentäter, der sich auch eingeschlichen hat, ist es schließlich, der – mit der Musik als Komplizin – das Spiel mit der Angst ins Unerträgliche steigert. Zugleich klärt er uns darüber auf, warum das so sein muss: „Weil du unterhalten werden willst!“

Und am Ende singen wieder die Wale. Vanessa ist am Ziel und zögert nicht lange. Viele werden es ihr nachmachen und im Meer und im Müll aufgehen: Sie beglichen nichts als eine Schuld, denn nur sie hatten das Prinzip verstanden. Mit diesem letzten Satz bleiben wir zurück.

Wolfgang Millendorfer, Blattwerk Nr. 17

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