Einrichtung für die Bühne, Regie: Peter Wagner / Musik: Christian Fennesz / Raumkonzeption: Wolfgang Horvath / Mit Daniela Graf, Georg Kusztrich, Jan Sokol, Josko Vlasich, Kemal Mahmutefendic / Musiker: Christian Fennesz, Klaus Filip / Lichtdramaturgie: Alfred Masal / Totenmasken: Doris Deixler / Kostüm: Christine Schöffler / Außenraumgestaltung: Heryk Rys Mossler / Regieassistenz: Daniel Chaloupka / Produktionsassistenz: Julia Michels / Büro: Beatrix Rehm / Produktionsleitung: Horst Horvath
Oberwart – Plötzlich sind sie da, die vier Exilanten mit ihren Koffern im Café des OHO in Oberwart, das mit weißen Stoffschnüren zu einem Spinnennetz gestylt wurde. Die vier dunklen Gestalten tragen in den Premieren-Smalltalk vorsätzlich eine Art babylonische Sprachverwirrung hinein: Sie murmeln hemmungslos durcheinander, nur das Wort Glück hört man verdächtig oft.
Und damit sind wir mittendrin im Tanz im Spinnennetz, einem „Inszenierten Oratorium“ nach Texten des bosnischen Dichters Kemal Mahmutefendic, entstanden in den Kriegsjahren 1992/93: Die Tränen meines Volkes. Der Autor lebt momentan im Exil in Güssing, und siehe da: Beim Einlass sitzt er einsam auf der Bühne, rauchend, als erster Flüchtling sozusagen. Er wird das ganze Oratorium über sitzen bleiben und mit steinerner Miene seinen Texten über die zerstörte Heimat lauschen.
Im Gegensatz zum Café wird die Bühne von vielen Stahlseilen überspannt (Bühne: Wolfgang Horwath). In diesem ehernen Netz verfangen sich die vier Exilanten, die Autorenkollege Peter Wagner für die Inszenierung der Text erfunden hat. Leider erweisen sich die vier den Anforderungen sprachlich nicht ganz gewachsen. Dazu bedürfte es Burgtheater-Kräfte, aber Oberwart ist nicht Wien.
Dennoch entfalten die beeindruckenden Texte des Bosniers ein poetisch-traumatisches Szenario des Grauens, erzählen von der Erkenntnis des Bösen, von Gräueltaten, Finsternis und Verrat. Dazu malt die Live-Musik von Christian Fennesz peinigende Klangbilder direkt aus dem Inferno. Zum Schluss dann die Verfluchung Europas: „Hure Europa, Missgeburt aus Dividenden und Aktien …“ Ein Abend, den man nicht so schnell vergessen wird.
Lothar Lohs, DER STANDARD
Viele bezeichneten das Projekt als ehrgeizig. Manche sahen es. Das Prinzip Hoffnung gibt Anlass zu derselben
„Der Tanz im Spinnennetz – Inszeniertes Oratorium.“ Das Spinnennetz als tierische Struktur des Beutemachens. des Überlebens. Wunderbar kann es in gut geführtem Licht glänzen. Seine Geometrie ist perfekt, tödlich und undurchlässig, schön. Netz hat mit Fangen und Gefangensein zu tun. Hier wurde ein Tanz versucht. Einerseits in Anlehnung an die unabänderliche Geometrie als kreativer roter Faden. Andererseits mit der großen Sehnsucht ausgestattet. den Aufbruch wagen zu können. Aus dem Netz, durch die Netze gehen. Prinzip Hoffnung. Die Möglichkeit hinter dem Krieg, hinter die Bewusstseinshaltung des Beutemachens. Kemal Mahmutefendic. Peter Wagner und Co. gelang ein Meisterwerk an Dualität, poetischer Spannung und Zusammenführung verschiedener Stilelemente. Zudem gab es erstmals auch eine echte Zusammenarbeit zwischen dem Landessüden und dem Landesnorden, wenn auch nur punktuell. Die Musik von Christan Fennesz, wesentlicher Teil des Oratoriums, sprach diese Verbindung aus. Ein weiteres Miteinander zwischen Norden und Süden, der Einsatz des Stilmittels Tanz, scheiterte eigentlich nur an Terminkollisionen.
„Suse moga naroda“. Wer die schwer und sanftmütige Seele der slawischen Sprache in seinem Blut und in seinem Herzen spürt, kann weinen mit den geschundenen Völkern. Die andere Seite, die Wirklichkeit des Krieges vor Ort, hat auch diese Schwermut, dieses unendliche Selbstmitleid, die furchtbare Suche nach der Schuld, die nur beim anderen liegen kann. Die Realität des Krieges im ehemaligen Jugoslawien liefert uns Beispiele von so brutaler Dimension, von solcher Härte der Auseinandersetzung, wie es sie nur im tiefsten Mittelalter gegeben hat. Foltermethoden von genial bestialischer Tiefe. Oh Gott, bist du wirklich groß?!
Die Tränen eines Volkes wurden beim „Inszenierten Oratorium“ geradezu „weinbar“. Die Anwesenheit bei einer der Vorstellungen muss einem die Seele aus dem Leib gerissen haben, falls Seele vorhanden. Wenn nicht, wurde sie vielleicht dort geboren.
Das „Inszenierten Oratorium“ war wirklicher Höhe- und Schlusspunkt. Kapitel 7. Wer kann den Wert dieser Produktion „Friedenskultur II“ in Zahlen gießen? Wer es beurteilen? Sicher nicht das Land Burgenland.
Das Team des Spinnennetzes hat es gewagt, dem Wort Frieden echte und neue Tiefe zu geben: das Prinzip Hoffnung. Danke.
Thomas Vlassits, GESCHRIEBENSTEIN