Lafnitz

Uraufführung: 22.09.1994
Kulturzentrum Oberschützen
Gastspiele: Kulturzentrum Oberschützen, Eisenstadt, Mattersburg, Güssing

Über ein Pendlerleben im Burgenland

 von Peter Wagner

Greniza: Maria Perschy, Franzsika Schmeller: Daniela Graf, Christina Stanescu: Ariadna Zagrean-Chiba, Lotte: Susanne Michel, Dirnböck: Ferdinand Kaup, Helmut Greniza: Klaus Haberl, Mihai Vlad: Ronald Rudoll, Erich Schmeller: Stefan Paryla-Raky, Kind I: Birgitt Spuller, Kind II: Katharina Philipp, Geiger: Christian Hellmich / Musik: Kurt Schwertsik / Bühne: Wolfgang Horwath / Kostüme: Corinne Hochwarter / Maske: Doris Deixler / Licht Alfred Masal / Regieassistenz: Annemarie Klinger / Produktionsleitung: Horst Horvath / Regie: Wolfgang Lesowsky

Koproduktion Burgenländische Kulturzentren und Offenes Haus Oberwart OHO.

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„Die Lafnitz, die Lafnitz …

sagt Dirnböck, Philosoph und Zyniker, das Faktotum des Dorfes Welten, Multifunktionär, seit einem Arbeitsunfall behindert. Welten ist überall und die Lafnitz das Symbol aller Sehnsüchte, der eingestandenen und noch mehr der verdrängten. Die Lafnitz als archaische Urmutter, aus deren Schoß alle gekrochen sind, ihre Urwälder sind die unerfüllten Kindheitssehnsüchte, ihr Morast die verdrängte Sehnsucht des Unterbewusstseins.
Inzwischen ist sie begradigt und reguliert. Die Sehnsucht einer nackten, hässlichen Schiffrinne gemacht. Gerade und unendlich wie das betonierte Straßenband, das aus der dämmernden Ferne kommt, das Dorf wie ein Fallbeil in zwei Hälften teilt und wieder am Horizont verschwindet – und auf diesem Straßenband verschwinden auch die Sehnsüchte in der Ferne. Die verschwiegenen und die einbekannten, die erfahrenen und erahnten.
„Ich möchte nicht, dass etwas bleibt“ sagt die Greniza am Ende des Stücks zum rumänischen Geiger Mihai, als dieser aufbricht.
Lafnitz – ein Stück Theater über die Sehnsucht.
Lafnitz – ein relistisches und ein poetisches Stück.
Und ein stilisiertes. Es will das Besondere im Allgemeinen zeigen.

Wolfgang Lesowsky, Regisseur

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„Einfach davonlaufen, ja … einfach alles liegen und stehen lassen und ab ins erträumte Land. Weil das ja geht, … so einfach geht. … Und wir, die geborenen Nullen, wir bleiben auf unseren behäbigen Gegebenheiten sitzen. Weil wir Nullen sind!“
Diese Worte der Pendlerfrau Franziska in Peter Wagner Stück „Lafnitz“ kann man wahrscheinlich in vielen vergleichbaren Orten in Österreich, wo über Flüchtlinge gesprochen wird, in ähnlicher Form hören – zu jeder Zeit. Es kann dies als Ausdruck der eigenen verborgenen Sehnsüchte gesehen werden, der eigenen Wunschträume, die allerdings in unserer Kultur weitgehend unterdrückt werden. Zu leicht könnte das Äußern der eigenen „Träume“, Wünsche und Bedürfnisse als Maßlosigkeit interpretiert werden. Neidgefühle schimmern hier durch. In dieser Situation bieten sich Flüchtlinge als ideale Projektionsfläche an, indem sie als maßlos erlebt werden. Auf sie wird die Angst und Verlockung selbst „das Maß zu verlieren“, projiziert. Ihnen wird unterstellt, dass sie vielleicht gar nicht gewillt sind, hart zu arbeiten, dass sie nur hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich kommen, dass sie hier nur materielles und persönliches Glück suchen würden – und sie lieber zu Hause bleiben und ihr Land aufbauen sollten.
So, als ob das für alle Flüchtlinge aus allen Ländern gleichermaßen möglich wäre. So als ob wir wirklich beurteilen könnten, was ein „echter“ Grund ist, seine Heimat zu verlassen. Ist wirklich anzunehmen, dass irgendjemand leichtfertig sein Heimatland und seine vertrauten Lebenszusammenhänge verlässt, dass jemand leichten Herzens mit dem Koffer in der Hand über die Grenze kommt und vielfach seine Verwandten und Bekannten im Ungewissen zurück lässt?
Gerade in Österreich und speziell im Burgenland – wo Migrationsbewegungen und Pendelwanderungen und somit das Gefühl des „Fremdseins“ in einem andern Land, in einer anderen Stadt, eine lange Tradition haben sollte entsprechendes Verständnis vorhanden sein. Auch hier wählten eine große Anzahl von Menschen als Ausweg vor einer hoffnungslosen Zukunft den Weg nach Amerika. Auch unsere Vorfahren waren vielfach einst „Ausländer/innen“. Auch wir waren nach dem Zweiten Weltkrieg stark auf Hilfe von außen angewiesen. Und tausende Österreicher/innen konnten nur überleben, weil ihnen Menschen anderswo Asyl gewährt haben.
War das Österreich nach 1945 noch stolz darauf, immer wieder zahlreichen Menschen als Zufluchtsstätte zu dienen, verkündet man heute „kein Einwanderungsland zu sein“. Dabei sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Seit 1945 haben etwa drei Millionen Menschen Aufnahme in Österreich gefunden. Der überwiegende Teil davon wanderte in ein anderes Land weiter. Angesichts der drei großen Flüchtlingsströme, die Österreich zu bewältigen hatte – 1956/57 stellten 180.000 Ungarn einen Asylantrag; 1968/69 flohen über 160.000 Tschechen und Slowaken über Österreich, 12.000 von ihnen suchten um Asyl an; und schließlich hielten sich nach Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981/82 zwischen 120.000 und 150.000 Polen in Österreich auf, wovon rund 33.000 Asylanträge stellten – erscheinen die Flüchtlingszahlen der letzten Jahre, insbesondere angesichts des dramatischen Ausmaßes der internationalen Fluchtbewegungen, geradezu lächerlich klein.

Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, auf eine besorgniserregende Tendenz hinzuweisen. Eine Tendenz, die durch die Entwicklungen in Europa in der zweiten Hälfte des Jahres 1989 noch verstärkt wurde. Nach der Beseitigung des „Eisernen Vorhanges“ geht man daran, Hindernisse in umgekehrter Richtung wieder aufzubauen. Sind einerseits Bemühungen im Gange, die Grenzen abzubauen und miteinander ein gemeinsames Europa zu errichten, werden andererseits in diesem vielzitierten „Haus Europa“ immer mehr die Riegel vorgeschoben – nur der gebetene Gast ist erwünscht. Tagtäglich erleben wir neue „Grenzziehungen“ und das Erstarken von Nationalismus und Chauvinismus. Und, anstatt von politischer und medialer Seite solchen Tendenzen entgegenzutreten, werden diese noch gefördert und/oder man gibt dem momentanen emotionalen Zustand der Bevölkerung nach. Ein Zustand, der von der öffentlichen Diskussion beeinflusst ist, wo das Spielen mit Befürchtungen sehr schnell dazu führen kann, dass Menschen Angst bekommen bzw. vorhanden reale Ängste und Unsicherheiten verstärkt werden. Das politische Spiel mit Ängsten, Ressentiments und Vorurteilen ist heute wieder populär. In einer sich aufschaukelnden Wechselwirkung von Agieren und Reagieren, von „Abschieben“ der Entscheidungen auf andere, von gegenseitigen Rechtfertigungen, berufen sich Medien und Politiker auf die „Stimme des Volkes“ und die „Stimme des Volkes“ auf Medien und Politiker. Es droht die vollkommene Kapitulation vor einem Klima der Fremdenangst, der Intoleranz und Entsolidarisierung, wo Existenz- und Statusängste, Frustration und das Gefühl, vergessen zu sein am Werk sind. Man fühlt sich mit seinem „Schweiß“ und seinen „Tränen“ der letzten Jahrzehnte nicht wirklich wahrgenommen. Dadurch entsteht Eifersucht auf jegliche Starthilfe für Flüchtlinge, so als ob dem Nachbarskind etwas geschenkt würde, was man sich eigentlich selbst für seine Tüchtigkeit und Ordentlichkeit verdient hätte.

Dr. Christine Teuschler, BURGENLÄNDISCHE VOLKSHOCHSCHULEN